Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Marion, liebe Doris, verehrte hanseatische Würdenträger, wenn man in den Vereinigten Staaten als Deutscher auf die Frage „What’s your profession?” antwortet: „I’m a composer”, dann kommt mit tödlicher Sicherheit und wie aus der Pistole geschossen die zweite Frage: „And do you know Bert Kaempfert?” Denn jedes Kind in USA weiß, dass es in Deutschland zwar möglicherweise einige Menschen gibt, die Musik gemacht haben oder noch machen, aber wirklich bekannt ist dort nur einer: Unser Fips! Und ich spreche nicht von den 60er oder 70er-Jahren! Ich spreche von heute!
Nun hätte ich auf die zweite Frage gern geantwortet: „Yes – he was a friend of mine”, aber bedingt durch unsere verschiedenen Wohnsitze und Arbeitsgebiete bin ich Bert Kaempfert meist nur auf den GEMA-Versammlungen begegnet, wo wir dann allerdings heftig gefachsimpelt haben – und nicht nur dies.
Aber ich gehörte mein Leben lang zu den großen Bewundern dieses großen Mannes, und das Bewundern fiel mir nicht schwer, bin ich doch kein Mitglied des ansonsten recht mitgliederstarken deutschen Neid-Klubs. Schon in den Fünfzigern verfolgte ich Kaempferts Arbeit als Druckarrangeur u.a. für die Sikorski-Musikverlage. Eine vielstimmige S.O.-Ausgabe – S.O. heißt Salon-Orchester, man staunt heutzutage – also eine solches Druckwerk aus der Feder von (damals noch) Berthold Kämpfert habe ich sogar einmal retranskribiert, d.h. also die Einzelstimmen wieder zu einer Partitur zusammengeschrieben – ich wollte nämlich unbedingt wissen, wie denn so eine Druckbearbeitung gebaut ist. Sie war gut gebaut, professionell und swingend, denn Fips konnte grooven wie der Teufel, und der Titel hieß „Schade, gestern warst du süß wie Schokolade”.
Vor ein paar Tagen habe ich mir noch ein anderes Arrangement von Berthold-Kämpfert aus der damaligen Zeit angesehen: Cocktailparty mit Lotar Olias. Von 1957. Was man hier in diesem Potpourri an gediegener Handwerksarbeit, musikalischer Redlichkeit und gekonnten Übergängen entdeckt – sowas findet man heutzutage kaum noch.
Ja, dieser Berthold Kämpfert hatte sein Handwerk eben von der Pike auf gelernt. Auf der sogenannten Stadtpfeife nämlich, auf die wir Musikstudenten dazumal blasiert herunterschauten. Sehr zu Unrecht allerdings, was wir später einsehen mussten. Die Absolventen der städtischen Musikschulen – so heißen die Stadtpfeifen richtig – waren uns nämlich in Vielem überlegen, was die leichte Musik anging. Sie konnten besser blattlesen, hatten größere Repertoire-Kenntnisse, und überhaupt: Sie waren ja, weil sie ja schon sehr früh vor Publikum spielten (Kaempfert mit zarten 16 Jahren), uns an praktischer Erfahrung weit voraus. Kurzum: Es gibt keine bessere Schule für einen Songwriter, als selbst gestrippt zu haben, wie wir das damals nannten. Denn was spielte man denn? Die ganz großen Hits, die Welterfolge und die – nicht zu verachtenden – einheimischen Schlagerlieder. Von Neidern (das sind die aus dem Klub mit den vielen Mitgliedern) oft Schnulzen genannt. Und von diesen erfolgreichen Liedern lernt man. Die Form. Den Inhalt. Und warum die Menschen gerade dieses oder jenes Stück so lieb haben.
Und so kam unser Fips – er wurde so genannt weil er der jüngste in der Kapelle Hans Bund war, dünn und fipsig, wie man hier in Hamburg sagt – über das Musizieren zum Notenschreiben. Er schrieb Arrangements für unzählige Künstler, Druckarrangements für Verlage, Tournee-Arrangements für Sänger. Er schrieb sich die Finger wund. Und er schrieb sich nach oben.
Dann die ersten Schallplatten-Bearbeitungen und -Produktionen. Der Mitternachts-Blues von Franz Grothe. Ein Hit. Arrangements fürs eigene Sextett. Für Freddy Quinn Die Gitarre und das Meer, und vor allem Unter fremden Sternen (Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong), mit einem erstmalig authentischen Rock-Schlagzeug! Für Cindy Ellis, deren Karriere allzu schnell wieder beendet wurde. Für die Entdeckung Ivo Robic aus Jugoslawien den Welthit Morgen von Peter Moesser. Ebenfalls mit internationalem Touch arrangiert. Amerika wurde aufmerksam. Die Original-Produktion gelangte an die Spitze der US-Charts. In deutscher Sprache gesungen! Dann kam der Welterfolg Wonderland By Night. Mit der faszinierenden Einleitung. Amerika wurde noch aufmerksamer. So etwas hatte man aus Deutschland noch kaum gehört. Und nun begann sich der Kaempfert-Sound, das Orchester Bert Kaempfert, zu etablieren.
Seine wirklich entwaffnend schönen Arrangements von Red Roses For A Blue Lady, Bye Bye Blues und Three O’Clock In The Morning hat ja jeder noch im Ohr. Und – den Neid-Klub-Mitgliedern ins Stammbuch geschrieben, nein, laut zugerufen: Die Idee, einen Chor als zusätzliches und weich färbendes Instrument in einer Bigband zu benutzen, hatte Bert Kaempfert schon vor Ray Coniff !!! – Der auch von den Amerikanern so genannte „Knack-Bass” wurde zum Markenzeichen, vor allem aber sind es die gemächliche Gelassenheit, das „Ausgeschlafene”, ja das pure Kulinarische (wenn der Vergleich erlaubt sei), der harmonische Genuss also, die Kaempferts Musik auszeichnen und sie international so erfolgreich machten.
„Wenn man immer mit der Musik anderer Leute zu tun hat, denkt man so manches Mal: Das könntest du eigentlich auch.” Original-Zitat Bert Kaempfert. Aber – mit Verlaub – ganz genau so dachte auch ich anfangs. Tut wohl jeder. – Und seinem Gedanken ließ Bert Kaempfert Taten folgen.
Und aus seiner vornherein genialen Feder flossen Afrikaan Beat, A Swinging Safari und Happy Trumpeter und das Stück, welches zunächst ein Instrumentalwerk war, das Moon Over Naples hieß (auf Heliodor!) und später unter dem Titel Spanish Eyes einer von Berts größten Dauerbrennern werden sollte. Allein in Deutschland (der wachsamen GEMA sei Dank) führte es jahrelang die Kapellen-Hitparade an, war also das meistgespielte (f r e i w i l l i g gespielte) Werk in der Live-Musik.
Und schließlich der umwerfende, alles überragende Welterfolg von Strangers In The Night, als Instrumental in den Film „A Man Could Be Killed” eingebaut, als Melodie vom amerikanischen Verleger Hal Fein erkannt und gleich doppelt vermarktet, wobei dann Frankieboy Sinatra die Siegespalme davontrug.
Den Hexenmeister der Sequenzen nenne ich ihn, unseren Bert Kaempfert, wenn ich meinen Studenten von ihm erzähle und ihnen klar zu machen versuche, worin der lang anhaltende Erfolg seiner Werke liegt. Eine Sequenz ist eine melodische Phrase, die sich in anderer Tonhöhe wiederholt. Hänschen klein ist – um es auch dem musikalischen Laien zu erklären – wohl eine der einfachsten Sequenzen, aus drei Noten besteht die Phrase, die dann einen Ton tiefer wiederholt wird. Eine Sequenz ist besonders merkfähig, da sich der Rhythmus bei der Wiederholung ja nicht ändert. Das wusste unser Fips.
Was aber ist eine Sequenz ohne eine zu Herzen gehende Melodie? – Die Melodie aber, „die kommt von Gott”, wie Charles Mingus sagte. „Es gibt keine echte Musik ohne Melodie” meinte Puccini und Mozart sagte „Melodie ist das Wesen der Musik”. – Und mit melodiösen Einfällen war der Komponist Bert Kaempfert reich gesegnet, die Melodien fielen ihm nur so zu, er brauchte sie nur noch aufzuschreiben, also in Noten zu setzen, und dies konnte er nun wieder besonders gut.
Und es entstanden Songs wie Danke Schoen (sein eigenes Lieblingslied), The World We Knew (Over and Over) und das einzigartige L-O-V-E, oft auch in Zusammenarbeit mit dem ebenfalls genialen Herbert Rehbein, oft der „Streicher-Papst” genannt. Alle Künstler von Rang spielten und sangen Bert Kaempfert, von Herb Alpert bis Al Martino, von Sammy Davis bis Shirley Bassey – es sind fast 200 berühmte Namen.
Es soll ja nun in Hamburg auch eine Straße oder ein Platz nach Bert Kaempfert benannt werden. Hat er natürlich längst verdient. Aber das erinnert mich an eine Begegnung mit Einzi Stolz, der Witwe des großen Robert. Ganz ernsthaft sagte sie zu mir: „Christiaaan, du musst unbedingt dafür sorgen, dass a Strass’n nach dir benannt wird, erst dann bist’ was…” – worauf ich antwortete „Liebe Einzi, ich möchte lieber noch eine Weile leben…”. – Ich glaube, es ist schon eine gute Einrichtung, derartige Ehrungen erst post mortem vorzunehmen. Aber – es muss nicht unbedingt 24 Jahre dauern.
Mit Bert Kaempfert verbindet mich – außer der Vorliebe für Aquavit und außer der Neigung zu swingender Musik – die Tatsache, dass ich zwar elf Jahre später, aber nur einen Tag nach ihm geboren wurde, nämlich am 17. Oktober. Irgendetwas muss an der Astrologie ja wohl dran sein, die Waage ist anscheinend doch ein rechtes Musikerzeichen.
Und so haben wir uns heute hier zusammen gefunden, um eines ganz, ganz Großen zu gedenken, eines ganz Bescheidenen, eines Komponisten und Musikproduzenten, der der friedlichsten und wohl den meisten Menschen auch verständlichsten Kunst oblag, die es wohl auf unserer Welt gibt – der Musik. Fips – wir, deine Kollegen, die GEMA als segensreiche Gesellschaft für uns Musikurheber und vor allem deine Fans, ob jung, ob alt, denken an dich in Bewunderung und Hochachtung. Wir lieben dich!
Lassen Sie mich schließen mit den Worten seiner beiden Töchter: „Unser Vater ist nicht tot. Mit seiner Musik lebt er weiter, für uns, für unsere Kinder und Enkel und für alle, die seine Musik lieben. Solange seine Musik noch irgendwo auf der Welt gespielt wird, ist Bert Kaempfert nicht tot. Er lebt.”
Prof. Christian Bruhn am 16. Oktober 2003 in Hamburg